Frauen und Mädchen sind anderen Gefährdungen ausgesetzt als Männer und Jungen. Daher benötigen Frauen auch eine andere Herangehensweise und andere Übungen für die Selbstverteidigung und Selbstbehauptung als Männer.

Unter diesem Motto stand der Lehrgang in Bremen am 4.11.2012.

 

In der Vergangenheit hat es verschiedenste Ansätze für die Frauenselbstverteidigung gegeben. So wurde eine Zeit lang unter anderem Folgendes propagiert:

  • Frauen müssen gegen Männer kämpfen, damit sie lernen sich gegen Größere und Stärkere zu behaupten.
  • Frauen müssen gegen Männer mit Ganzkörperschutzanzug schlagen und treten, damit sie ihre eigene Kraft einschätzen und entwickeln können.
  • Frauen müssen sich vor allem mit ihrer eigenen Psyche auseinander setzten, um selbstbewusster zu werden.
  • Frauen müssen nur die Selbstverteidigung der Männer gegen Männer mitmachen, dann können sie sich verteidigen.

 

Dazu muss man wissen, dass Frauen und Mädchen zu ca. 90 % von bekannten Tätern aus dem privaten Umfeld angegriffen werden (Freuden, Bekannten, Vätern, Brüdern, Nachbarn) und nur zu ca. 10 % von dem Unbekannten nachts im Park oder auf dem Nachhauseweg.

Im privaten Umfeld können die Angriffe etwa zur Hälfte durch Selbstbehauptung oder Selbstverteidigung abgewehrt werden und gegenüber Unbekannten sogar zu ca. 80 % (wobei solche statistischen Zahlen immer etwas problematisch sind).

Dennoch: Sie zeigen, dass es sich lohnt, sich selbst zu beschützen.

 

Dabei gibt es mehrere Aspekte, auf die speziell in der Frauenselbstverteidigung eingegangen werden sollte:

  • Als Erstes müssen sich die Frauen und Mädchen selbst für wertvoll halten.
  • Dann müssen sie wissen, was sie möchten, damit sie dies klar (in welcher Weise auch immer) zum Ausdruck bringen können.
  • Und nicht zuletzt: Sie müssen bereit sein, für sich zu kämpfen und dabei auch eine Körperverletzung beim Angreifer riskieren.

 

Die Selbstbehauptung setzt dabei viel früher an, als die Selbstverteidigung. Schon grenzüberschreitenden Bemerkungen oder nicht gewollten psychischen Beeinflussungen muss Einhalt geboten werden, damit sich eine Situation nicht verschlimmert.

Dabei gibt es drei Phasen:

  • Der Angreifer entschuldigt sich, dann ist die Situation bereinigt.
  • Der Angreifer spielt die Grenzüberschreitung herunten, dann muss unbedingt daran gearbeitet werden (selbst oder mit fremder Hilfe).
  • Der Angreifer findet sein Verhalten richtig, dann ist die Selbstbehauptungssituation oder Selbstverteidigungssituation eingetreten und es sollte entsprechend agiert werden.

 

Selbstbehauptung bedeutet, am eigenen Selbstbewusstsein und Auftreten zu arbeiten, um kein Opferverhalten zu zeigen. Dies kann z.B. verbale Schlagfertigkeit, sicheres Auftreten, abschreckendes Auftreten und vieles mehr sein. Jede Frau muss das für sich persönlich herausfinden und in den Wirkungen einschätzen.

 

Selbstverteidigung bedeutet, dass sich eine körperliche Auseinandersetzung nicht mehr vermeiden lässt, um sich selbst zu schützen. Diese Situationen können nicht realistisch geübt werden, da im Training niemand wirklich angreift und auch niemand wirklich verletzt werden kann. Damit entfällt die Stresssituation beim Angriff, aber auch ggf. die Effektivität der Aktion (= Wirkung von Verletzungen).

Was wir aber erlernen können sind Verhaltsroutinen, die durch die Geübtheit wahrscheinlich auch in Stresssituationen abgerufen werden.

Dabei ist beim Üben mit Frauen und Mädchen auf Folgendes zu achten:

  • Erfolgserlebnisse auf realistischer Basis vermitteln (z.B. hart Zuschlagen am Sandsack)
  • Die Stimme als Waffe benutzen (z.B. verschiedene Arten und Lautstärken)
  • Das Umfeld einbeziehen (z.B. sich geschickt Hilfe holen oder sich in Sicherheit bringen)
  • Gegenstände nutzen (z.B. Gegenstände in Reichweite nutzen, eigene Kleidungsstücke wie Schuhabsätze oder Accessoires wie Taschen und Schlüssel nutzen)
  • Standardumgebungen der Frauen und Mädchen für Bedrohungen einbeziehen (Angriffe in der eigenen Wohnung, auf dem Flur, im Keller, im Auto, auf Wegen, in Gruppen)
  • Verteidigungen gegen verbale Grenzüberschreitungen üben (Beleidigungen, Erniedrigungen, Anzüglichkeiten)
  • Verteidigungen gegen körperliche Grenzüberschreitungen üben (anfassen, schubsen, schlagen)

 

Alles sollte sehr anschaulich z.B. mit Einbeziehung von Gegenständen, Umgebungen usw. geübt werden, um den Lernerfolg zu verbessern. Dabei soll den Frauen und Mädchen bewusst werden, welche speziellen Fähigkeiten sie haben (z.B. größere kommunikative Fähigkeiten verglichen mit Männern).

Beim Üben einer körperlichen Auseinandersetzung sollten „Universal“-Techniken vermittelt werden, die in den verschiedensten Situationen wirksam sind und in denen das eigene Gewicht geschickt eingesetzt wird, um den Kraft- und Gewichtsunterschied im Verhältnis zu Männern zu kompensieren.

Dabei ist auch die geringere Reichweite der Extremitäten von Frauen zu berücksichtigen und besondere Schwachstellen am Körper des Gegners.

 

Am Wichtigsten in der Frauen- und Mädchenselbstverteidigung ist, Situationen sehr früh einzuschätzen und sehr früh zu agieren, damit eine Situation gar nicht erst eskaliert, denn je weiter die Grenzüberschreitung in Richtung körperlicher Auseinandersetzung geht, desto mehr verringern sich gerade für Frauen und Mädchen die Chancen. Dann hilft nur noch konsequente Gegenwehr, egal wie oder sich der Situation (z.B. häuslichen Situation) auf Dauer zu entziehen.

 

Dies ist meine Essenz nach über 40 Jahren intensiven Kampfsporterfahrungen im Karate, Judo, Jiujitsu, Ju-Jutsu, Iaido, Kyusho, Tai-Chi und anderen Kampfsportarten, sowie eigenen Wettkampferfahrungen im Kämpfen.

 

Dr. Elke von Oehsen

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